Der Rennsteig im Winter

Januar vor vielen Jahren. Ich sitze im Zug zwischen Hörschel und Blankenstein. Seit einigen Jahren habe ich vor den Rennsteig einmal von Anfang bis Ende zu gehen. Das heißt von Blankenstein bis Hörschel, ca 168 Kilometer. Da im Sommer hier jeder unterwegs ist habe ich mir den Winter ausgesucht. Eigentlich wollte ich das Ding mit Ski machen aber wenn ich so rausschaue würde ich damit wohl nicht weit kommen, da der Zug an braunen Feldern und grünen Wiesen vorbeifährt. Für die nächsten Tage ist jedoch Schnee angesagt was es für mich nicht unbedingt leichter macht.

Start in Blankenstein an der Saale

Mein Gepäck habe ich so weit es geht zusammengestrichen. Zwei dünne Schlafsäcke, eine dünne Isomatte, eine kleine Gaskartusche, Kocher, Topf, Becher, Wasserflasche,Stirnlampe, Biwaksack, Regenjacke und das was ich am Körper trage. Meine Nächte möchte ich in den kleinen Holzhütten verbringen, die überall am Rennsteig zu finden sind. Ach ja, das Ganze soll nicht länger als 72 Stunden dauern…..

Überreste von Rennsteigtouren

Um 09:17 Uhr springe ich panmäßig in Blankenstein aus dem Zug. Die Fahrt von Hörschel hierher hat 3 Stunden und 45 Minuten gedauert. Ich schaue mich kurz um und sehe schon das erste Hinweisschild auf den Rennsteig. Dem folge ich und stehe nach ein paar Minuten an der Saale. Hier soll es also losgehen. Der erste Hingucker sind ca. 10 paar defekte Schuhe die die Wanderung wohl nicht ganz überlebt haben. Ich mache einige Fotos und los gehts.

Start an der Saale

Zu Beginn geht es gleich steil begauf und schnell bin ich aus der Ortschaft draussen. Der Rennsteig führt die ersten Kilometer immer an einer Staße entlang. Ich passiere die Ortschaft Schlegel und lasse die rauchenden Schornsteine von Blankenstein weit hinter mir. Immer wieder komme ich an ausgelatschten Schuhen vorbei, die hier wie Trophäen am Wegesrand hängen.

Ich habe mir vorgenommen alle 10 Kilometer eine kurze Trink- und Esspause zu machen um das hohe Tempo über die ganze Strecke zu halten. Nach ca. 15 Kilometern der erste Schreck. Die rechte Verse zwickt. Ich rücke die Socke zurecht, schnüre die Stiefel enger doch es hilft alles nichts. Nach ca. 20 Kilometer spüre ich wie sich eine Blase bildet. Toll, ich habe ja nur noch knapp 140 Kilometer vor mir.

Thüringer Wald

Das Wetter ist nicht gerade toll, es könnte aber auch schlechter sein. Es ist bewölkt und stark windig. Gegen 14:00 Uhr überquere ich, zu meiner Verblüffung, die ehemalige deutsch-deutsche Grenze. Bisher war ich der Meinung das der Rennsteig nur im ehemaligen Osten verläuft. Na, man lernt doch nie aus. Gegen 15:00 Uhr habe ich fast 30 Kilometer gemacht, ich liege also gut in der Zeit. Wegen einer Baustelle bei Steinach habe ich zwar etwas Zeit verloren aber ansonsten komme ich gut voran. Leider hat man mit der Strafle bei Steinach gleich die Rennsteigschilder mit beseitigt.

Der Nebel kündigt den Schneefall an

Kunst am Rennsteig

Ich habe mir für heute vorgenommen irgendwo zwischen “ Der kalten Küche“ und Ernstthal zu nächtigen. Bei der kalten Küche bin ich um 18:30 Uhr. Es ist dunkel und hat zu schneien angefangen. Hier oben auf 700 Meter weht außerdem noch ein ganz ordentlicher Wind. Im Licht der Stirnlampe ziehe ich weiter. Leider kann ich bei diesem Schneefall kaum 10 Meter weit sehen was die Sache nicht gerade leichter macht. Mein rechter Fuß macht mir inzwischen ebenfals zu schaffen. Nicht nur das die Verse blutig ist, nein, ich habe mir auch noch mehrfach den 2. Zeh angestoflen, so das dieser bei der kleinsten Berührung höllisch schmerzt.

Schneetreiben am ersten Abend

Im Schneetreiben komme ich zu einer kleinen Hütte beim Frankenwaldbick kurz vor Ernstthal. Nicht gerade groß das Ding, also doch noch weiter. Auf der Karte ist noch eine weitere Hütte eingezeichnet, ca. 1 Kilometer von hier. Ich schleppe mich also weiter. Die nächste Hütte ist größer, doch leider direkt an einer Strafle. Hier steht auch das Denkmal des Thür. Wintersportverbandes, was mich auch nicht überzeugen kann hierzubleiben. Also den Kilometer wieder zurück zur letzten Hütte. Es ist jetzt kurz vor 20:00 Uhr und so langsam verliere ich die Lust.

Schlafplatz

Nach einiger Zeit kommen ich an der Hütte an. Ich packe meine Sachen aus, werfe den Kocher an und packe mich in die Schlafsäcke. Das reicht eindeutig für heute! Ich bin in 10,5 Stunden ca. 45 Kilometer gelaufen und bin zufrieden mit dieser Ausbeute. Ein Schock kommt noch als ich die Stiefel ausziehe. Raus aus den Latschen und ich sehe schon Blut. Der Stiefel und die Einlegesohle sind rot getränkt. Vorsichtig ziehe ich die Socken aus und sehe den Schlamassel. Meine rechte Verse ist auf einer 5-Markstück groflen Fläche offen. Beim 2. Zeh löst sich der Nagel ab. Tolle Ausbeute am ersten Tag denke ich mir.

Im Doppelschlafsack

Um halb sechs klingelt der Wecker. Nach ca. 30 Minuten bin ich wieder unterwegs. Es ist immer noch dunkel und ich brauch eine Zeit um meinen rechten Fuß wieder an den Stiefel zu gewöhnen. Die Nacht war nicht sehr kalt, so 2 – Grad unter Null nehme ich an. In der Dämmerung erreiche ich die Ortschaft Ernstthal. Der Tag heute wird eine Standortbestimmung. Ich möchte 55 – 60 Kilometer machen. Wenn es nicht weiter schneit ist das durchaus zu schaffen.

Die ersten Kilometer sind geschafft

In Neuhaus am Rennweg springe ich schnell in einen Supermarkt und hole Wasser und einen Pausensnack. Das spart mir vor allem die Zeit für eine Wassersuche heute Abend. Weiter geht es über den winterlichen Rennsteig. Je weiter der Tag voranschreitet je stürmischer wird es. Um kurz vor 12 erreiche ich die Stelle an der Kai, Uli und ich letztes Jahr übernachtet haben. Damals haben wir für unsere Tour im Sarek trainiert.

Der winterliche Rennsteig

Weiter geht es durch Masserberg bis zu dem Parkplatz wo wir im letzten Jahr Ulis Auto geparkt hatten. Hier mache ich meine nächste Pause. Das Wetter bleibt gut und ich komme schnell voran. Ich passiere Neustadt am Rennsteig und erreiche kurz vor dem Großen Dreiherrenstein die Mitte des Rennsteiges. Die Hälfte ist geschafft. Es beginnt jetzt langsam zu dämmern.

Als ich die Schutzhütte Allzunah erreiche ist es dunkel. Mit der Dunkelheit hat es auch zu stürmen begonnen. Im Licht meiner Stirnlampe geht es nun weiter. Nach weiteren 2 Stunden Marsch peile ich die nächste Hütte an. Es ist die alte Tränke. Ich betrete die Hütte und stelle fest woher sie ihren Namen hat. Der ganze Boden ist patsch nass. Also weiter. Nach weitern 1,5 Kilometern die nächste Hütte. Sie liegt direkt an einer Strafle, doch heute möchte ich nicht weiter. Es ist schon kurz nach acht und der Sturm wird immer stärker. Ich packe wieder meine Sachen aus und verkrieche mich in die hinterste Ecke der Hütte. Beim Stiefelausziehen stelle ich fest, dass sich die Wunde an der Verse noch vergrößert hat. Na ja, was will man machen.? Mit meiner Leistung bin ich eigentlich zufrieden. Es sind knapp über 50 Kilometer heute geworden und ich hoffe das morgen zu wiederholen.

Ich wache auf und spüre als erstes das Schnee durch die kleine Öffnung im Schlafsack gekommen ist. Draussen stürmt es immer noch. Ich ziehe den Reißverschluss am Schlafsack auf und sehe nur noch Schnee. Mein Schlafsack, meine Sachen und die ganze Hütte ist mit Schnee bedeckt. Es hat wohl geschneit und der Sturm hat den ganzen Schnee hereingeblasen. Der Tag geht ja wieder gut los, denke ich mir. Da bist du 5 Minuten wach und hast schon die Nase voll…..

Die ersten Meter am dritten Tag sind geschafft

Es war auch kälter als letzte Nacht, denn meine Hose und Stiefel sind steif gefroren. Also Kocher an, anziehen und packen. Unter Schmerzen drücke ich meinen rechten Fufl in den steifen Stiefel. Wer ist nur auf so eine dämliche Idee gekommen? 30 Minuten später verlasse ich die Hütte. Es ist so gegen sechs Uhr und noch dunkel. Erst jetzt sehe ich wie viel es geschneit hat. Hier liegen gut und gerne 20 cm Neuschnee und es schneit weiter. Im tiefen Schnee stapfe ich die ersten Meter bergauf bis zur Schmücke. Mein Weg führt mich immer grob an einer Straße entlang. Es dämmert langsam als ich an einem Funkturm vorbeikomme. Als ich am Groflen Beerberg bin ist es hell.

Großer Beerberg

Hier oben stürmt es und die Sicht liegt nur bei wenigen Metern. Jetzt schnell 2 Fotos und weiter. Kurz darauf komme ich zur Suhler Ausspanne. Ich folge grob der Beschilderung und gehe weiter bergab. Als nach 500 Metern jede weitere Rennsteigbeschilderung ausbleibt kommen mir langsam Zweifel. Ich habe keine Lust zurück zu gehen also versuche ich mich rechts zu halten und wieder in die Nähe der Strafle zu kommen, leider ohne Erfolg. Ich verlaufe mich total in einem Gewirr voll Langlaufloipen. Nach ca. 45 Minuten drehe ich gefrustet um und kehre zur Suhler Ausspanne zurück.

Das hat mich eine Menge Zeit gekostet. Als ich an der Suhler Ausspanne mal genauer hinschaue entdecke ich auch die weiteren Markierungen des Rennsteiges. Ich marschiere weiter bis Oberhof. Hier ziehe ich mir an einer Würstchenbude erst mal eine Thüringer mit Brötchen rein. Frisch gestärkt geht es weiter zum Wachsenrasen und von hier zur Ebertswiese. Es ist so gegen halb vier und ich bin viel zu spät dran. Heute muß ich unter allen Umständen noch über den Großen Inselsberg.

Ich gebe nach einer Pause nochmal richtig Gas , doch es hilft alles nichts. Ein paar Kilometer vor dem Inselsberg stehe ich im dunkeln. Zu allem Übel verliere ich auch noch den Rennsteig im leichten Schneefall und folge der Fahrradroute Rennsteig weiter. Im Schnee stapfe ich einen Berg hinauf und treffe auf halber Höhe eine Familie. Da es sich um einen Feldweg handelt frage ich mich was die im dunkeln hier wohl machen. Die Frage ist schnell beantwortet. Sie wollen zur einen kleinen Hütte im Wald und haben ihre Ausrüstung bis hierher gefahren.

Ich erzähle das ich auf dem Rennsteig unterwegs bin doch gerade die Route verloren habe. Kein Problem für den anscheinend Einheimischen. Ich helfe Ihnen ihr Auto wieder in Fahrt zu bringen, was sie leicht festgefahren haben und er nimmt mich ein Stück mit und zeigt mir wie ich wieder auf den Rennsteig komme. Ich verabschiede mich von seiner Fau und Kindern und fahre mit ihm ca. 500 Meter weiter zu einem kleinen Parkplatz wo er seinen Wagen abstellt. Von hier ist es kein Problem den Rennsteig wieder zu finden. Er zeigt mir die Richtung und da sehe ich auch schon die ersten Markierungen. Ein Handschlag und ein Dankeschön zum Abschied und ich bin wieder unterwegs. Der Weg steigt jetzt steil an und der Wind nimmt wieder zu. Immer höher steige ich im tiefen Schnee. Die Orientierung wird jetzt schwerer doch zu guter letzt komme ich oben an.

Hier oben bläst der Sturm mir den Schnee seitlich ins Gesicht. Ich brauche ein paar Minuten um den richtigen Weg auf der anderen Seite wieder runter zu finden. Jetzt bin ich mit großen Schritten bergab unterwegs. Die nächste Hütte ist mir. Ich komme an einer kleinen Hütte an, die mir einfach nicht zusagt. Auf der Karte sehe ich das die Brotteroder Hütte nur noch 2 Kilometer weiter ist. Also los zur Brotteroder Hütte. Es ist jetzt wohl mehr ein schleppen als ein marschieren. Ich komme an der Hütte an und traue meinen Augen nicht. Das soll doch wohl keine Hütte sein. Was zum Teufel ist das? Das sind 4 Balken mit einem kleinen Dach darauf. Das Ding hat keine Wände und drinnen liegt Schnee. Ich überlege kurz und entscheide zum Dreiherrenstein weiterzugehen. Langsam geht mir nicht nur die Lust sondern auch die Kraft aus. 2,5 Kilometer später bin ich an der Hütte am Dreiherrenstein. Es hat sich gelohnt, die Hütte ist in Ordnung. Die Bänke in der Hütte sind sogar so breit das ich darauf schlafen kann. Also raus aus den Sachen und rein in den Schlafsack. Mein Wasser ist knapp und so gibt es nur eine große Schüssel Suppe. Habe heute ca. 46 – 48 Kilometer in fast 14 Stunden gemacht. Damit kann ich nicht zufrieden sein, denn für morgen bleiben noch 27,5 Kilometer. Bis halb zehn ist das in meinem Zustand wohl nicht zu schaffen. Zudem ist mein Gas und mein Essen fast leer und ich habe nur noch einen halben Liter Wasser.

Nach der kurzen Nacht

Um 05:15 Uhr klingelt der Wecker. Ich schaffe es mit dem Kocher noch lauwarmes Wasser zu kochen und esse mein letztes Essen. Beim Anblick meiner Stiefel wird mir fast schlecht. Es war die kälteste Nacht und die Dinger sind so hart gefroren das ich sie erst mal für meine Füße zurechtbiegen muß. Kurz und schmerzvoll drücke ich den rechten Fuß in den Eisklotz der wohl ein Stiefel sein soll. Meine Sachen packe ich zusammen und los gehts auf die letzten 27,5 Kilometer. Ich habe mir vorgenommen keine Pausen mehr zu machen da ich sowieso weder Wasser noch Essen habe. Die ersten 20 Kilometer gehen auch so, aber die letzten 7,5 werder zur Qual.

Ich werde immer langsamer und die Kilometer scheinen nicht weniger zu werden. Es hilft kein stehenbleiben, kein meckern, kein fluchen, es hilft nur eins: EIN FUß VOR DEN ANDEREN! Gegen 13:00 Uhr laufe ich nach 75,5 Stunden in Hörschel ein. OK, mit Laufen hat das nicht mehr viel zu tun aber das ist mir egal. Mir ist in diesem Moment alles egal, auch die Stunden, Hauptsache ich bin am Ziel. Ich habe es geschafft und mir einen weiteren Outdoortraum erfüllt, einmal den Rennsteig im Winter komplett zu gehen.

Hier einige Infos:

  • Der Rennsteig, 168,3 Kilometer von Blankenstein nach Hörschel
  • Karte: Kompaß Karte 118, Der Rennsteig
  • Zeit: 75,5 Stunden